Historisches gut

Wie reizvoll und ermutigend Bauen im Bestand sein kann und wie viel Potential in einem alten Gebäude steckt, zeigt Architektin Alexandra Bub auf schönste Art und Weise in ihrem Ensemble „Wohnen und Arbeiten am Jenischpark“.

Hochrad, Kuchelweg, Ohnsorgweg – diese drei Straßenzüge bilden die historische Ecke direkt gegenüber dem Jenischpark und neben dem ehemaligen königlichen Postamt. ‚Hochrad‘ ist der älteste Gebäudeteil des Ensembles und wurde 1837 für eine Familie aus dem Bäckerhandwerk erbaut. Vor dem ersten Weltkrieg wurde für den wachsenden Familienbetrieb ein L-förmiger Anbau ergänzt, der vom Kuchelweg erschlossen wurde. Im Jahr 1912 kam die Kaffeemühle im Ohnsorgweg hinzu. Hier auf dem Winkel, den die drei Straßen bilden, wurde schon immer generationsübergreifend gebacken, verkauft und gewohnt. Das Hauptgebäude, einst auf einer Denkmalliste geführt, verlor durch die baulichen Maßnahmen in den 70er-Jahren seinen Charme: Es wurde überformt; große Fensteröffnungen hineingerissen; der schöne Giebel zurückgebaut; das Sichtmauerwerk mit gelbem Spaltklinker gefliest. Als die Architektin Alexandra Bub die historische Ecke entdeckte, war der traditionelle Bau bis zur Unkenntlichkeit verbaut. Schuppen, Anbauten und Carports in unterschiedlichster provisorischer Bauweise belegten zuletzt den kompletten Hof und das Ensemble verfiel zusehends.

„Wir wollten die Qualität der historischen Bausubstanz herausarbeiten und die Grundstruktur wiederherstellen“, erklärt Alexandra Bub. An der Außenhaut des Haupthauses wurde der Spaltklinker heruntergeschlagen. Da das freigelegte Mauerwerk dahinter in Teilbereichen sehr porös war, musste es in Teilen neu aufgebaut werden – selbst kleinste Stürze wurden detailgetreu ergänzt. Anschließend wurde die Fassade in einem hellen Naturton geschlämmt. Um die Struktur des kleinformatigen Sichtmauerwerkes der Fassade erhalten zu können, wurde innenseitig eine mineralische und kapillaraktive Dämmung aufgebracht. Zur Straßenseite wurden die ursprünglichen Fensteröffnungen rekonstruiert und neue nach außen, öffnende weiße Sprossenfenster nach historischem Vorbild eingebaut. Der historische Giebel der Dachgaube wurde reproduziert und der kleine Anbau direkt neben dem Haupthaus entfernt. So steht und wirkt das Hauptgebäude wieder ganz für sich. Anstelle des entfernten Anbaus wurde ein Freiraum geschaffen, der als Terrasse genutzt wird. Hier im Haupthaus ‚Hochrad‘ entstand eine Maisonette mit fünf Zimmern auf 119 Quadratmeter Wohnfläche und Garten. Der ehemalige Verkaufsraum ist nach wie vor an die Wohnung angeschlossen und kann weiterhin gewerblich genutzt werden.

Während das Hauptgebäude von BUB architekten traditionell herausgearbeitet wurde, tritt das L-förmige Atelierhaus ‚Kuchelweg‘ zurückhaltend und modern in Erscheinung. Das Volumen überschnitt sich ganz unglücklich mit dem Dach des Haupthauses. So kippte die Architektin das Pultdach zum Flachdach und schob es unter die Dachkante von Hochrad. Sie ergänzte Fensteröffnungen, passte sie an und erneuerte die Fenster. Das neue Atelierhaus wurde von außen gedämmt und anschließend mit Holz verkleidet. Die Fassade aus dunklen vertikalen Lamellen wurde in einem unterschiedlichen Rhythmus gesetzt und teilweise vor die Fenster gezogen, sodass eine schöne Detaillierung entstand.

Gelungener Mix aus modernität und historie

Hier im ‚Kuchelweg‘ lag die Herausforderung darin, dass das Erdgeschoss mit seinen tiefen Fenstern niedriger war als der Gehweg selbst. Eine wild anmutende Hortensienhecke mit Gräsern bildet nun den geschützten Raum zum Erhalt der Privatsphäre, sowohl für das Atelierhaus als auch für die neue Terrasse auf der Ecke. Von der Süd- und Abendsonne beleuchtet, schafft die Pflanzenpracht einen schönen hellen Blättervorhang. So kann man einerseits auf Sichtschutz oder Vorhänge verzichten und hat andererseits mitten in der Stadt grüne Blickfänge, wo die Distanz zu öffentlichen Wegen begrenzt ist. Die Grundrisse wurden komplett neu strukturiert, lediglich die tragenden Außenwände blieben erhalten. Während ‚Kuchelweg‘ von außen dunkel anmutet, überraschen im Inneren Helligkeit und fließende Räume auf 116 Quadratmeter.

Die Kaffeemühle im Ohnsorgweg mit der seinerzeit „neuen“ Backstube im Erdgeschoss und Mehlkammern im Obergeschoss, ergänzte das Ensemble bereits vor dem zweiten Weltkrieg. Die ehemalige Backstube wurde im Zuge der Sanierung entkernt und zu einer loftartigen Gewerbeeinheit umgebaut, die sich über neue Öffnungen zum Hof im Westen ausrichtet. Die geschwungene Holztreppe und die traditionelle Struktur der Wohngeschosse mit historischen Innentüren wurden liebevoll saniert. Das Dach wurde gedämmt und neu eingedeckt, die historische Verblendfassade aus rotem Klinker blieb erhalten, die Dämmung wurde in der Luftschicht zwischen dem zweischaligen Mauerwerk untergebracht und die Sprossenfenster nach historischem Vorbild erneuert. In der Kaffeemühle entstanden drei Einheiten, die sowohl einzeln als auch kombiniert von einer Familie zum Wohnen und Arbeiten komplett genutzt werden können. Sämtliche Nebengebäude im Hof wurden zurückgebaut und ein begrünter, von allen Gebäuden zugänglicher Hof geschaffen.

BUB architekten haben mit der Sanierung der prominenten historischen Ecke am Jenischpark bestmöglich ein Stück Geschichte bewahrt und fünf gestalterisch hochwertige Mieteinheiten unterschiedlicher Größe geschaffen. Sämtliche Grundrisse wurden neu strukturiert und so geplant, dass sie von Familien oder auch Singles flexibel genutzt werden können. Tonangebend im Inneren des Ensembles ist der lichte skandinavische Stil. Die hellen puristisch anmutenden Einheiten sind im Wesentlichen mit weiß geölten Lärche-Massivholzdielen auf Fußbodenheizung ausgestattet und perfekt platzierte Einbaumöbel, die als Raumteiler funktionieren, bieten jede Menge Staufläche. Bei diesem Projekt zeigt sich, wie viel funktionales und gestalterisches Potential im Bestand steckt und es ist ein gelungenes Beispiel dafür, wie man alte Gebäude bestmöglich auf den neuesten Stand der energetischen Ertüchtigung bringen kann. Das Projekt wurde in der Exkursionsreihe WEITERBAUEN XVII, in Kooperation des BDA Hamburg, der Freien Akademie der Künste, dem Denkmalschutzamt und der Hamburgischen Architektenkammer, als vorbildliches Beispiel für den Umgang mit Bestandsgebäuden vorgestellt und im Rahmen des BDA Hamburg Architekturpreises 2022 gewürdigt. „Mir lag am Herzen, die Potentiale der Substanz herauszuarbeiten, sowohl mit historischen Bezügen, als auch mit zeitgemäßer Modernität. Durch die Flexibilität der Grundrisse ist familienfreundliches ‚Wohnen und Arbeiten am Jenischpark‘ erhalten geblieben“, so Alexandra Bub. Und das hat seit fast 200 Jahren Tradition an diesem Ort.

www.bub-architekten.de


ARCHITEKT BUB architekten bda, Hamburg
LAGE Hamburg-Othmarschen
FERTIGSTELLUNG 2021
WOHN-/NUTZFLÄCHE 425 qm
ROHBAU C.H. Maack, Tornesch 
ZIMMERMANN/DACHDECKER/TROCKENBAU
Schamper Zimmerei und Innenausbau, Bokholt-Hanredder
FENSTER  Menck Fenster, Hamburg
PUTZARBEITEN  WM Putztechnik, Fockbek
INNENTÜREN/DIELEN  Holzinform, Hanstedt-Weihe
FLIESENARBEITEN  Terdenge und Möller, Hamburg
EINBAUMÖBEL  Die Tischlerei, Ellerau
HLS  Werner Harm, Hamburg
ELEKTRO  Thomas Krohn Elektrotechnik, Barmstedt

FOTOS Alexandra Bub