Garten anders denken
Eigentlich wollten wir Anja Maubach in Bezug auf Stauden und Vorgärten als Expertin mit einer großen Expertise im Bereich Stauden interviewen. Herausgekommen sind interessante philosophische Sichtweisen, die uns wirklich nachdenklich gemacht haben.
Welche Rolle spielt Gartenarbeit in Ihrem Leben?
Garten ist eine Herzensangelegenheit. So wie ich gerne koche, so bereite ich den Garten mit meinen Händen zu. Wenn das die Leute nicht mehr gern machen, sondern machen lassen, sind sie nicht mit dem Herzen verbunden. So sehe ich das. Andernfalls kann ich mir in den Vorgarten auch einen Container Steine kippen. Das ist für mich Ausdruck einer Beziehungslosigkeit – zu allem. Denn wenn ich Steine aussuche, dann suche ich mir gezielt einen ganz bestimmten aus, weil der mir einen guten Moment kreiert und ich eine Beziehung dazu habe. Die Beziehungslosigkeit der Menschen ist das, was heute schwierig ist, glaube ich. Ich liebe Steine. Sie sind verfestigtes Leben. Materialisiertes Sein über tausende von Jahren, und die Pflanzen sind die Basis. Sie schenken dem Garten das Lebendige, Individuelle und Persönliche. Aber das kann ich ja nur kreieren, wenn ich persönlich Spaß daran habe.
Würden Sie sagen, dass der Garten für viele Leute mehr ein Ort zum Anschauen geworden ist?
Ja. Ich schaue mir Bilder von Gärten vor dem Haus an und frage mich, warum der Garten nicht die gleiche Wertigkeit hat wie zum Beispiel die Kleidung? Warum darf er nicht die gleiche Freude machen? Beim Garten-Coaching bemerke ich immer wieder, dass Gärten sich nur am Rand abspielen. Aber es scheint keiner mehr etwas aus Freude zu machen, wo ihm bei der Betrachtung das Herz aufgeht. Mir fällt auf, dass zwar viele Menschen Haus und Garten haben, aber sie leben nicht darin. Sie schauen nur darauf.
Es fehlt nicht nur das Herz, sondern vor allem die Zeit.
Aber wir haben doch Zeit. Wir müssen keine Butter machen, keine Wäsche waschen…
Die Prioritäten haben sich verlagert.
Weil keiner mehr die Freude am Gärtnern sieht – und das Glück. Da schluckt man lieber Tabletten, statt hinaus zu gehen und sich berühren zu lassen. Ich gebe die Verantwortung für meinen Garten einfach an andere ab, die wissen, wie es für mich geht. Das ist doch seltsam.
Wie kann ich aus meinem Garten und der Arbeit darin mehr gewinnen?
Man wäscht sich, man putzt das Haus – das ist selbstverständlich. Das Tun im Garten wird mehr und mehr dem Feld der Arbeit zugeordnet, und arbeiten möchte man nicht in der Freizeit. In dem Moment, wo ich eine Wertung vornehme und „Arbeit“ sage, ist das negativ.
Wenn wir feststellen, dass wir die Liebe zur Natur ein Stück weit verloren haben…
Ist das nicht tragisch? Sie sagen das so lax. Dann habe ich ja die Liebe zu mir und zum Leben verloren!
… und wieder vermehrt darüber nachdenken, die Liebe zur Natur wiederzuentdecken.
Ich kann nur für mich selber schauen, wie ich es empfinde. Für mich ist der Ort, den ich hier bewirtschaften darf, wie ein Tempel, aus Liebe an den Schöpfer. Ich glaube, der große Fehler ist, dass man das Gefühl hat, man möchte fertig werden. Es muss ja besenrein sein. Aber das Leben ist ja auch nie fertig. Dann kommt Angst auf, denn man will ja mit seiner Zeit etwas anderes machen. Es könnte ja auch sein, dass ich meinen Weg selber fege, wenn ich 85 Jahre alt bin, das trainiert ja auch. Das sind kleine Übungsarbeiten. Aber wenn ich diesen Feinsinn nicht habe, ist ja das ganze Leben schwer. Ich brauche für alles eine Erleichterung.
„ICH BRAUCHE WURZELN, DAMIT ICH WACHSEN, NÄHRSTOFFE AUFNEHMEN UND MICH AUFRICHTEN KANN.
DAS IST, GLAUBE ICH, DAS, WAS DEN LEUTEN FEHLT, SIE SIND ENTWURZELT.“ ANJA MAUBACH
Man sieht immer mehr Vorgärten mit Schotter ohne Pflanzen.
Ich finde interessant, dass sich gerade der Buchsbaum verabschiedet. Er ist in seinen Repräsentationsfähigkeiten so missbraucht worden. Man konnte ihn sich leisten, ihn kontrollieren, ihn beschneiden. Dass der sich jetzt so verabschiedet, finde ich großartig, weil es das genau wiederspiegelt, wofür er eigentlich missbraucht worden ist. Man nahm einen Buchsbaum, ein bisschen Kies drum herum, fertig.
Der Garten vor dem Haus ist doch traditionellerweise das „Straßencafé“, ein halböffentlicher Ort, in dem man sich mit Nachbarn unterhalten kann. Natürlich nur, wenn man an Gemeinschaft interessiert ist. Wenn allerdings jeder nur noch neben dem Kochtopf parkt und von der Garage rein ins Haus geht, dann ist er ja gar nicht durch seinen Vorgarten gegangen. Das heißt, der Ort hat gar nichts mehr zu tun, er ist einfach eine Art Abstellfläche für Autos. Der Ort wird ja erst lebendig durch mein Dasein.
Der Vorgarten gilt doch als Visitenkarte des Hauses?
Das Haus kriegtdurch den Vorgarten ein Gesicht, denn früher war das Haus ja mitten im Garten. Der Vorgarten ist in der Sichtbarkeit. Da will man gefallen, alles muss ordentlich sein. Ich habe den Eindruck, dass das Thema „Vorgarten“ anfängt zu kippen. Es scheint fast egal zu sein, wie es da aussieht. Hauptsache hinten beim Grill sieht‘s gut aus. Für mich ist immer der Grundriss vom Haus interessant. Wo geben sich Haus und Garten die Hand? Wo ist die Einheit? Für mich gibt’s da schon den großen Fehler, dass die Küche zur Straße hin liegt. Dann hat man zehn Kinder, die gerne im Garten spielen wollen, du stehst aber in der Küche und schaust vorne heraus. Demnach müsste dann der Garten vor dem Haus doch der Kinderspielplatz sein. Da kriege ich wenigstens mit, was passiert. Das sind alles so Sachen, die alles schwieriger machen, in Beziehung zu gehen.
Hauptsache, er ist leicht zu pflegen?
In die Schotterbeete machen die Hunde rein, da fliegt das Laub rein – was ist denn daran pflegeleicht? Das ist doch so grob, dass man nicht mal gerne mit den Händen darin wühlt.
Stauden sind immer mehr ein Thema, auch wegen der Bienenthematik. Wie sehen Sie das?
Bei den meisten Menschen ist der Bezug zu den Jahreszeiten schon verlorengegangen. Hier geht es ja tatsächlich um das Thema Wurzeln. Wo sind meine Wurzeln? Was sind meine Entscheidungen? Was ist die Wurzel dieser Entscheidung? Die geht tief und deswegen ist sie unumstößlich. Und je tiefer meine Wurzeln sind in meinerPhilosophie, desto eindeutiger ist das Ganze auch. Die Leute vergessen aber im Hinblick auf die Steine, das richtige Bett für die Wurzeln vorzubereiten, damit die Pflanzen wurzeln bilden und ankommen können. Wurzeln sind ein schönes Thema. Ich brauche Wurzeln, damit ich wachsen, Nährstoffe aufnehmen und mich aufrichten kann. Das ist, glaube ich, das, was den Leuten fehlt, sie sind entwurzelt.
Das Wohnzimmer im Freien: Auf der Terrasse sitzen und auf eine große Leinwand schauen, die sich Garten nennt.
Aber wenn da nicht mal mehr ein Schmetterling fliegt, ist das ein immergrünes erstarrtes Bild. Die Bienen haben es geschafft durch ihr Gehen, dass bei den Menschen zumindest der Impuls kreiert wird: „Ich könnte ja doch wenigstens eine Kleinigkeit tun“. Und das hilft vielen Pflanzen, dass die Leute sie nun mit in den Garten nehmen. Sie bekommen Beachtung, die sie vorher nicht bekommen haben, weil sie nicht dieses Effekthascherische haben. Und dann freue ich mich, wenn die Leute manchmal wegen der speziellen Pflanzen kommen und schon waren die Bienen da. Wow. Ein Geschenk des Himmels. Das rührt die Leute aber auch. Dann kommen sie in das Reine, Verspielte, das Kindliche. Und sie freuen sich über eine Biene.
Wir kaufen uns den Moment mit den Gartenmagazinen.
Ich nehme das Magazin „Landlust“. Hier wird gezeigt, wie man Holz hackt. Man weiß dann, wie es geht. Aber das reicht dann auch, es soll ja nicht in Arbeit ausarten. Dann gehe ich eine Stunde zum Yoga oder Krafttraining und dann geht’s mir für den Moment wieder gut. Wie kostbar ist es, etwas für sich zu tun? Wenn Sie ein Beet anlegen, sähen Sie etwas. Das kindliche Freuen kommt, wenn man beobachten kann, was passiert. In diesem Zauber des Anfangs steckt die Frage, wie kreiere ich ihn? Aber wenn ich mir Pflanzen kaufe, die schon fertig sind, wie diese großen Chrysanthemen-Bobbel, dann schaue ich zu, wie sie weniger wird. Mir fehlt der Wow-Effekt.
Damit es „Wow!“ wird, brauchen wir die Vorbereitung des Bodens und so weiter.
Ja, da kommen wir wieder zum Anfang. Das braucht Zeit. Das ist, glaube ich, der gesellschaftliche Moment. Man ist nicht am Wachstum interessiert, sondern man muss gleich das Fertige haben. Mir macht es Spaß zu sehen, wenn etwas wächst. Das ist meine persönliche Freude. Ich bin am Wachstum interessiert, nicht an der Stagnation.
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FOTOS Burkard Dohm