Die stadtvilla

Mit dem Flair von gestern und dem Lifestyle von heute schuf Architektin Inga Schminck ihr Stadthaus aus der Gründerzeit und verwirklichte den Architektentraum, perfekt aufeinander abgestimmt, in ein außergewöhnliches Eigenheim.

Ganze zwei Jahre lang waren sie vom Abriss bedroht und standen leer – anstelle der vier Stadtvillen aus der Gründerzeit sollte in Hamburg Eppendorf ein mehrgeschossiger Neubau entstehen. Dank der nachbarschaftlichen Bürgerinitiative konnte diese Maßnahme aufgrund einer neuerwirkten Erhaltungsverordnung verhindert werden. Ein großes Glück, denn das Häuserensemble prägt das gewachsene Stadtbild seit über 100 Jahren, nun auch in Zukunft. Nachdem die Entscheidung gefällt war, ging es ganz schnell: Binnen eines Jahres konnte das zweigeschossige Gebäude, das zwei Epochen zusammenführt, komplett kernsaniert werden. Das Haus aus dem Jahr 1908 hatte in den 80ern gartenseitig einen eingeschossigen Anbau mit Balkon erhalten, was sich an Fassaden und im Inneren ablesen lässt. Zwar waren alle vier Gebäude stark sanierungsbedürftig, doch das Stadthaus, das die Architektin Inga Schminck für ihre Familie mit zwei
Kindern und zwei Hunden herrichten wollte, hatte die Generalüberholung besonders nötig. Glücklicherweise war von der alten Bausubstanz noch sehr viel erhalten geblieben. „Hier konnten wir alt und neu nach unseren ganz eigenen Vorstellungen verbinden. All‘ mein Wissen im behutsamen Umgang mit alter Bausubstanz konnte ich einbringen – ein echter Architektentraum“, so Inga Schminck.

Die straßenseitige Fassade der Stadtvilla spiegelt die Zeit von 1908 wider. Stuckornamente und Eckbetonung des Hauptgiebels wurden gereinigt und leicht überarbeitet. Alte Farbanstriche wurden abgebeizt und die Farbe vom Sockelbereich wurde entfernt. Wunderschöne, wenn auch nicht überall erhaltene bräunlich, glasierte Ziegel kamen zum Vorschein. Die Fenster wurden nach historischem Vorbild erneuert, äußere Fensterprofile wiederhergestellt. Fassade, Ornamente, Fenster, Brüstungen – alle Elemente erhielten einen einheitlichen Farbanstrich in Schlamm mit Stich ins Grün. Das Eingangsportal wurde originalgetreu nachgebaut, wobei die blumenverzierten Kassettenfüllungen aus der alten Türe ausgebaut und in die neue eingesetzt wurden. Die Architektin wählte ein nebliges, dunkles Petrol und setzt die Eingangstüre ganz bewusst vom ruhigen Ton der Fassade ab. Geriffeltes Glas in Anlehnung an den historischen Bestand dient der Beleuchtung des farbenfrohen Windfangs. Hier sind die Wände lachsfarben, nur eine kurze Wand ist mit alten gelben und grünen Originalfliesen belegt, Fenster, Türen und Sockel erscheinen in Petrol. Auf dem Boden sind graue handgefertigte Cottofliesen aus Italien im Fischgrätmuster verlegt worden. Messingtürbeschläge in Jugendstil sowie eine filigrane Messingdeckenleuchte vollenden das Bild des kunstvollen Raumes mit der ganz besonderen Atmosphäre. Absolutes Highlight: Die kantige Sitzbank in leuchtendem Raps.


Tradition und moderne gekonnt gemixt

Das Treppenhaus als vertikaler und horizontaler Verteiler wird durch ein großes Oberlicht in Szene gesetzt, welches die alte schwarzlackierte Holztreppe mit gedrechselten Antrittspfosten tagsüber hell ausleuchtet. Von hier aus gelangt man in die Bereiche Esszimmer, Wohnraum und Küche, die fließend ineinander übergehen. Die Küche wurde nun straßenseitig ausgerichtet. Der Mittelblock aus Eichefronten erhielt eine Arbeitsplatte aus grünem Marmor. Aus dem ‚Verde Guatemala‘ wurde auch das Waschbecken geformt und mit einer puren Messingarmatur versehen. Die Wände sind umlaufend von einer Eichenvertäfelung gesäumt, die durch konisch zulaufende Stollen unterteilt ist und eine horizontale Zäsur in Sitzhöhe aufweist. Sie verbreitert sich zu einer Sitzbank mit vier großen Schüben. Im Bereich des Fensters erhielt die Vertäfelung zwei große, klappbare Eichenholzschutter, die vor neugierigen Blicken schützen. Perfekt komponiert wirken die gewählten Elemente sehr beruhigend, fast sakral. Ein kleiner Stabfries aus geometrischen Formen ergänzt die weißen Wände, die mit einer gerundeten Hohlkehle in die Decke übergehen, wo sie durch ein schlichtes, mit feinen Kanneluren profiliertes Deckenband abgerundet wird. Für den Boden des Erdgeschosses wählen Körner Schminck Architekten einen homogenen, grauen Pandomobelag, um die edlen Eicheneinbauten perfekt zur Geltung kommen zu lassen. Auch unter der abgehängten Esszimmer-Decke versteckte sich eine Hohlkehle samt Deckenband, die hergerichtet wurde. In dem folgenden Wohnzimmer sind die Außenwände des Ursprungshauses noch ablesbar, ab hier wird der Stilbruch von 1981 sichtbar. Auch die abgehängte Decke im Wohnzimmer wurde entfernt – zum Vorschein kam die Betondecke des darüber liegenden Balkons. „Wir haben uns dafür entschieden, sie als Kontrast zu den Stilelementen von 1908 unbearbeitet sichtbar zu lassen. Die Decke zeigt die Profilierung der früheren Schalbretter und in Teilen die nicht entfernte Betonmilch“, erklärt die Architektin. Die große Panaromaschiebetüre lässt einen herrlichen Blick in den Garten zu und führt über einen neuen Betonsteg, welcher über den Patio in den fast 45 Meter langen Garten verläuft. Treppenhaus, Flur und Gäste-WC im Erdgeschoss sind im Kontrast zum homogenen Pandomobelag mit einem strukturierten Cottobelag in Fischgrät versehen. Im Obergeschoss finden sich vier Zimmer sowie ein kleines Gäste- oder Kinderduschbad. Der alte Pitchpine wurde geschliffen, geölt, wodurch die typisch leuchtende rötlich-braune Färbung des Bodens in Erscheinung tritt. Wände und Decken wurden gespachtelt, Hohlkehlen und Deckenbänder leicht überabeitet, alte Zimmertüren abgebeizt und weiß lackiert.

Die ehemals mit Gittern abgedeckte Kasematte des Souterrains sowie der Kellerabgang des Hinterhauses wurden in einen großen Patio verwandelt, sodass die im Souterrain angeordneten Räume Schlafraum und Elternbad ausreichend belichtet und belüftet werden. Der ruhige geschützte Innenhof wurde mit Schlosskies aufgefüllt. Als zauberhafter Freiraum mit gelben Lederhülsenbaum ist er frei von städtischen Nebengeräuschen und lädt zum Nachdenken, Entspannen und Verweilen ein.

Über eine schlichte gefaltete weiße Holztreppe gelangt man im Inneren ins Souterrain. Der Bereich Ankleide, Schlafen und Masterbad wurde um gut 40 cm abgesenkt und ist über eine Eichenblockstufe erreichbar. Alle Räume sind sehr pur und schlicht gehalten, um hier die nötige Ruhe zu finden. Die Wände in Ankleide und Schlafbereich wurden mit einer besonderen Spachteltechnik bearbeitet und weisen einen groben, betonartigen Charakter in hellgrauer Färbung auf. Bestandsdecken wurden freigelegt: Im Ankleidebereich ist eine alte Stahlträger-Decke mit grober rauer Betonverfüllung aus dem Jahr 1908 sichtbar, im Schlafbereich die Untersicht der Betondecke von 1981. Der Boden erhielt eine besondere Spachtelung in Graubraun. Einbauten, Bett und Kleiderschrank sind nur auf einer Seite angeordnet, wobei die Oberflächen in heller Eiche sich mit den Griffen und Nachtischleuchten in Messing harmonisch miteinander verbinden. Über einen schmalen raumhohen Durchgang an der Fassadenwand erreicht man das Badezimmer. Das Feinsteinzeug findet sich hier raumhoch im Bereich der Dusche und als monolithischer Waschtischblock in warmen sanften Beigetönen. Die platinfarbenen Armaturen sind in dem Spiegel integriert. Von hier aus gelangt man über zwei Stufen durch den schmalen Durchgang in den Sauna- und WC-Bereich des Hauses.

In gekonnter Weise verbindet sich die harmonische Komposition von Inga Schminck mit der Tradition des Hauses, alles wirkt ruhig und anmutig zugleich. Die Stadtvilla ist faszinierend, innen wie außen. Sie möchte erlebt werden und bietet seinen Bewohnern und Besuchern die emotionale Erfahrung, die es verdient.

www.koerner-schminck.com


ARCHITEKTEN Körner Schminck Architekten, Hamburg
FERTIGSTELLUNG April 2022
WOHN-/NUTZFLÄCHE ca. 225 qm
STATIK hm-Ingenieure, Hamburg
BAUTENSCHUTZ K & K Holz- und Bautenschutz, Barsbüttel
FENSTERTISCHLER André Behncke, Vellahn
NATURSTEINARBEITEN Bruns & Möllendorff, Hamburg
FLIESENARBEITEN Mowka Hamburg, Hamburg
MALERARBEITEN Suck, Ahrensburg
BÖDEN SPACHTELTECHNIK Suck, Ahrensburg
PARKETT Müritz Parkett, Bütow
MÖBEL/TREPPENTISCHLER Dehner, Hamburg
KÜCHE A. Graumann, Hamburg
MÖBELGRIFFE HMB Hamburger Metallbildner, Hamburg
SANITÄR/HEIZUNG F.W.M. Schorbach, Hamburg
ELEKTRO Carl Buch Elektrotechnik, Hamburg

FOTOS Folkert Eggen