CHRISTIAN HEUCHEL
ARCHITEKT UND KÜNSTLER
HAUSLUST TEIL 4:
DER BLICK

Christian Heuchel, Architekt, Künstler und Geschäftsführer von O&O Baukunst und sein Alter Ego, Van Heuchel, sind derarchitektmitderpuppe und der Meinung: „Wir brauchen eine klare Ansprache rund um die Architektur!“ Van Heuchel, die Puppe, ist ein Seismograph für aktuelle Themen aus der Architektur, die hier in der Kolumne nicht nur für Laien erklärbar gemacht werden.

Wollen wir nicht alle schöner wohnen? Der eine mag es hell, nobel, geräumig; der andere eher dunkel, eng, atmosphärisch unterkühlt. Wo bleibt der Plan Libre des Architekten Le Corbusier? Loftwohnungen in alten Industrieanlagen? Hippe Ateliers, in denen es nach frischer Farbe riecht? Was ist aus dem Aufruf Egon Eiermanns zum Wohnnotstand der 1960er-­Jahren geworden: Die beste Wohngemeinschaft ist sieben Familien in sieben Zirkus­wagen – ein Leben auf mindestens 200 Quadratmeter unter einem großen Zeltdach?

Genormt ist Wohnen nun überall auf der Welt. Globale Lebensentwürfe stecken in bürgerlichen Zwangsjacken. Wir schreiben uns vor, wie Zimmer sein müssen. ­Kinderzimmer: neun qm netto; Schlafzimmer: mit Schrank im Ikea-Format; Küche: als Zeile; Balkon: hat eine förderfähige Größe mit Tisch, eine Pflanze, kein Grill; Wohncouch: ist zum Fernseher ausgerichtet, der wiederum einzementiert an der Wand verankert ist; Flur: quillt über mit Schuhen und Jacken; Elternzimmer: wird auf Minusgrade zur Atmosphäre eines Schlachthofes heruntergekühlt. Ein Zeichen dafür, dass hier mit Erotik eigentlich nichts zu machen ist? Und dann kam sie, die Riesencouch der 1970er-­Jahre zum Loungen – der Mutige hatte weißes Leder mit durchsichtigem Schonbezug.

Wenn dann endlich alles geschmackvoll eingerichtet war und die Individualität so richtig in Fahrt kam, ging man entschlossen auf den Garten, respektive den Nachbarn los. Fragt man sich, wie man einen Ausblick bekommen kann, so dämmert es einem, wo man eigentlich lebt, und – dass der Blick ins Innere und der Blick ins Äußere verbunden sind. Man beschwert sich eben, wenn man statt des gebuchten Meerblicks nur ins vertrocknete Landesinnere schaut. Den Ausblick zahlt man gerne mit. Oder wer baut nicht ­lieber auf Inseln im Meer? Wer will denn nicht die Wohnung im Wolkenkratzer ganz oben? Ja, das einsame Schlösslein im Grünen? 

Der Blick verleiht uns das Gefühl, dass er uns befruchtet. In einer Welt, wo Wohnen genormt ist, sind Ort und Blick die letzten Merkmale, die den einen vom anderen unterscheiden. Eine Wohnung an der Champs-Élysées, am Eiffelturm oder am Kölner Dom unterscheidet sich von Innen vielleicht nicht von der in Wanne Eickel – aber der einmalige Blick macht den feinen Unterschied. Er ist das wesentliche Element. Das Besondere, womit man auch posieren möchte.

Christian Heuchel und Van Heuchel


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FOTOS Tim Löbert