Transformierte Vielschichtigkeit
In der Auseinandersetzung mit sich selbst überträgt Janine Seelen Spannung und Stimmung von Alltagsmomenten im Raum in vielschichtige Malerei. Die Stimmung und Kunst ihrer Werke gehen auf den Betrachter über und laden zum Innehalten ein.
Schnelle, klare und bewegte Bilder auf Bildschirmen bestimmen unseren Alltag. Dem gegenüber stehen die Werke von Janine Seelen, die das Gegenteil kommunizieren. In ihrer Malerei hält sie das Momentum des Alltäglichen und seine Stimmung im Raum fest. Als Grafik Designerin ist Janine Seelen mit dem Festhalten von Bildern und Szenarien sowie mit dem Medium Papier sehr wohl vertraut. Nach über 25 Jahren als Creative Director in ihren eignen Grafik Designstudios in New York und Hamburg, tauschte sie 2018 das Mauspad gegen Ölpastell und Pinsel, um Leidenschaft und Freiheit zu leben. „Nur ich treffe Entscheidungen. Niemand steht zwischen mir und meiner Arbeit. Auf dem Blatt vor mir findet die Auseinandersetzung mit mir selbst statt. Alles von mir geht ungefiltert in mein Werk über“, so die Malerin über ihre Arbeit, die auch als Energiearbeit bezeichnet werden könnte. „Denn sowohl bei der Übertragung der eingefangenen Energie in das Bild selbst als auch während der Kommunikation zwischen Kunstwerk und Betrachter, entsteht ein enger energetischer Austausch.“ Sie malt, zeichnet, kratzt ab, fügt hinzu und sie sitzt, hört und schaut ihrem Bild bei seiner Entstehung zu – dieser Prozess wiederholt sich so lange bis das Werk vollendet ist. So entstehen Objekte, Raumszenen und Lichtstimmungen auf großformatigen Papieren und Leinwänden, festgehalten in vielschichtiger Malerei. Seelen transformiert fotografische Momentaufnahmen ihrer Umgebung mit Kohle, Öl- und Soft Pastell. Durch die vielen strukturierten Farbschichten und sich überlagernden Flächen, übertragen sich die am Originalort empfundene Stimmung so stark auf den Betrachter, dass er sich dem Motiv und der festgehaltenen Atmosphäre nur schwer entziehen kann. So wie Gerüche und Geräusche, ist Raum mit Gefühlen und Erinnerung verbunden – nicht fassbar, schwer zu benennen jedoch vertraut. Vor allem Stimmungen im Morgengrauen und in der Abenddämmerung sind für Janine Seelen inspirierende Zustände, mit denen sie sich in ihren Arbeiten auseinandersetzt. „Mein Arbeitsprozess beginnt mit der Analyse des Raumes. Alles, was uns umgibt, trägt eine ganz eigene Energie mit sich: ein Grundstück, ein Haus, ein Zimmer, eine Szene. Diese Kontaktaufnahme beinhaltet auch die Auseinandersetzung mit dem Ort und seiner Besitzer oder ehemaligen Bewohnern.“ Manchmal kennt sie den Ort seit langer Zeit. Oftmals spürt und erlebt sie die Energie bereits innerhalb weniger Minuten. „Fasziniert, mit viel Respekt, lasse ich die Atmosphäre auf mich wirken. Ich sitze, beobachte, kommuniziere, mache Fotos, verlasse den Ort, lese, schreibe, kehre zurück, skizziere. Ich nehme mir die Zeit, die es braucht. So finde ich mich im Netzwerk meines Motivs wieder, in dem alles zueinanderfindet und die Dinge miteinander in Verbindung treten. Das ganzheitliche Wissen um diesen Ort empfinde ich als wohltuend.“ Es ist das Experimentieren mit unterschiedlichen Medien und die Erfahrung, wie die Gefühle und Gedanken der Malerin durch andere interpretiert werden – das ist das zentrale Verständnis von Kunst der Janine Seelen. Und wann ist ein Bild fertig? „Ich sitze davor und schaue, was und ob es noch etwas braucht. Bekomme ich keine Antwort fange ich das nächste Bild an und arbeite so an bis zu drei Bildern.“ Und das eine Werk ist vollendet, wenn es genug ist.
FOTOS Josh Bertsch