
cHristian Heuchel
Architekt und Künstler
Hauslust Teil 10:
Mon Oncle
Hinter derarchitektmitderpuppe steht Professor Christian Heuchel, sein Alter Ego Van Heuchel und die Redaktion. Gemeinsam stellen sie sich in ARCHITURA aktuellen Themen rund um die Architektur. Die Fotos sind die Verschmelzung von Van Heuchel und dem Professor – KI generiert.
as Leben meines Onkels war der Gemüsehandel. Auf seinen regionalen Wurzeln fußte sein Obstimperium. Es erstreckte sich über das ganze Land, von Nord nach Süd, von West nach Ost. Er träumte von einem Turm vor
seinem Haus im Garten, mitten in der Pfalz. In dörflicher Idylle sollte er sich erheben; mit leichter Rundung und strahlender Goldkappe am höchsten Punkt. Die Glasfenster mit Motiven der ländlichen Produktion
geschmückt: Porträts der Kartoffel, des Salatkopfes, der Zwiebel und des Radieschens, eingearbeitet in feinste Glasmalerei, gefasst in dauerhaftes Blei. Im Dunkeln von innen leuchtend wie die Kirche in der
Nachbarschaft, von außen durch das Sonnenlicht in kräftigen Farben schimmernd. Der Turm musste nicht groß sein − lediglich ein Treppenhaus aufnehmen, das hinaufführt zur Spitze mit Ausblick über die Pampa, mehr
nicht.
Mein Onkel wollte zeigen, was man im Wiederaufbau mit Gemüse und harter
Arbeit erreichen kann! Das nötige Kleingeld war vorhanden. Indes waren‘s wohl die Kindheitserinnerungen, die ihm keine Ruhe ließen. Die neuronalen Blitze in seinem Gehirn erzeugten Bilder von Erzählungen
und Märchen über Prinzen und Rapunzel mit langem güldenem Haar. Verworrene Geschichten, gepaart mit spärlichen Reiseeindrücken, trieben ihn an. Vielleicht waren es die Bilder der Geschlechtertürme von San
Gimignano oder die Skyline New Yorks, die plötzlich bei ihm auftauchten. Es waren die Versuche der Mächtigen, sich in der Höhe zu übertreffen, die ihm imponierten. Die Patrizierfamilien des Mittelalters und die Finanzjongleure
der modernen Welt dienten ihm als Vorbilder.
„Ein Turm? Nicht mit uns!“, war die allgemeine Stimmung in der Dorfgemeinschaft. Nicht vorstellbar, ja zumutbar die Höhe, das D Zurschaustellen von Reichtum und die bäuerliche Einfalt, die hier in das Dorfbild
einzubrechen schienen. Ein neuer „Zwiebelturm“, der sich zu zwei Kirchtürmen gesellt, lädt geradezu ein, das soziale Gefüge zu zerstören. Es galt also, einen erneuten Turmbau zu Babel zu vermeiden. Zu viel
stand auf dem Spiel.
Nicht mal als Faschingspräsident kann man gegen die allgemeine Gesetzeslage und den Willen des Dorfes bauen. Weder Kleines und Einfaches noch Persönliches. Was tun im Angesicht des Scheiterns? Am besten die Nerven verlieren,
denn Onkels Turmbau wollte nicht aus dem Kopf. Die Lösung lautete: unter dem Radar der Gesetze zu bauen. In Guerillataktik und mit selbständiger Baueinheit den überlegenen Gegner zu unterwandern. Pläne wurden
geschmiedet, wie der Haus- und Grundbesitzer das Ungenehmigbare einfach in Beton gießen lässt. Kein Gestaltungskanon konnte seinen Willen zügeln, gar seinen dicken Schädel stoppen. Sein rastloses Prinzip, seine
Sturheit könnte uns heute fürwahr Vorbild sein. In einer Zeit des Umsetzungsstaus könnte man zuerst bauliche Tatsachen schaffen und dann darüber diskutieren. In guter Gesellschaft mit den Großen der Antipartizipation:
mit dem ägyptischen Pharao und seinem Grabmal (der Cheops-Pyramide von Gizeh), mit Gustave Eiffel als Schöpfer des gleichnamigen Wahrzeichens und mit Georges-Eugène Baron Haussmann, der mit den Champs-Élysées
in der französischen Kapitale Großes geschaffen hat. Der sogenannte Zwiebelturm steht nun im Dorf, für die Ewigkeit gebaut. Dies Türmlein ist hässlich, folgt keiner formalen Idee. Aber über Geschmack lässt sich
mit meinem Onkel nicht streiten.
www.derarchitektmitderpuppe.de
FOTOS derarchitektmitderpuppe